Interview mit Jean-Christophe Duc, europäischer Meisterkonditor und Compagnon du Tour de France

Interview mit Jean-Christophe Duc, europäischer Meisterkonditor und Compagnon du Tour de France

„Bei der Ausarbeitung neuer Rezepte für entzuckerte Pâtisserie stößt der Konditor an ein einziges Limit, seine eigene Fantasie.“ Immer mehr möchten auf entzuckerte Pâtisserie umstellen. Doch um Rezepturen umzuschreiben, ist etwas Basiswissen verlangt. Begegnung mit dem Meisterkonditor Jean-Christophe Duc, der bereit ist, einige seiner Tricks für die Herstellung köstlicher zuckerreduzierter Pâtisserien preis zu geben.

Erinnern Sie sich an den Moment, an dem die entzuckerte Pâtisserie-Welle auf Frankreich überschwappte?

Ich würde sagen, das war Anfang 2000. Viele Gastronomen, besonders in den angelsächsischen Ländern (USA, Großbritannien…), aber auch in Deutschland, Österreich und den Niederlanden erklärten uns, wie sehr sie die französische Pâtisserie liebten, aber auch, dass sie viel zu süß sei und dies ein echtes Problem für sie darstellen würde. Ungefähr zur gleichen Zeit begannen die öffentlichen Behörden, das Problem der Fettleibigkeit der Bevölkerung zu thematisieren. So sah man die ersten Gesundheitskampagnen, die den Verbraucher aufforderten, seinen Zuckerkonsum zu reduzieren, fünfmal am Tag Obst und Gemüse zu verzehren, usw. Um diesen neuen Besorgnissen Rechnung zu tragen, war ein rasches und konkretes Handeln bei unseren Handwerksbetrieben und der Industrie gefragt. Wir beschlossen daher, den Zuckeranteil in unseren Pâtisserien um mindestens 20% zu reduzieren.
 

Zucker macht süchtig und ist gleichzeitig ein kräftiger Geschmacksverstärker. Wie haben die Kunden reagiert?

In der ersten Zeit haben wir belehrt und erklärt, dass die Lieblingskuchen der Kunden nun zwar etwas weniger Zucker enthalten, dafür aber auch besser für die Gesundheit sind. Doch seien wir ehrlich, Pädagogie alleine reicht nicht aus! Mit dem Kauf einer Pâtisserie macht man sich eine Freude, einen süßen Moment, wie man sagt. Wir fingen deshalb an zu überlegen, wie wir unsere Rezepte abändern konnten, ohne den Genuss für den Kunden zu schmälern. Sie können sich vorstellen, dass das alles andere als einfach war. Denn tatsächlich ist Zucker ein ausgezeichneter Geschmacksverstärker: er hebt die Aromen und Geschmäcker der anderen Komponenten und bringt sie zur Geltung. Deshalb hat man den Eindruck, wenn man Zucker weglässt, dass der Kuchen „fade“ schmeckt. Wir fingen an, die Dosierungen der anderen Geschmacksverstärker zu erhöhen, d.h. mehr Sahne, Butter, Eigelb. Vereinfacht ausgedrückt: Für einen Kuchen, für den wir bis dahin 250 g Zucker und 150 g Eigelb verwendeten, kehrten wir die Mengenverhältnisse einfach um. Eine andere Feststellung: Der Geschmack bestimmter Zubereitungen, wie z.B. eine Crème Pâtissière oder eine Buttercreme verändert sich unwesentlich, wenn der Zuckeranteil um 10% reduziert wird. Damit haben wir bereits zwei einfache und wirksame Methoden, die alle Konditoren nachahmen können, die den Weg der entzuckerten Pâtisserie einschlagen möchten.
 

Das Entzuckern hat die Konditoren also dazu verpflichtet, ihre Zutatenreihen zu erweitern, um den weggelassenen Zucker zu kompensieren und die Kunden zu überraschen?

Der Körper ist in der Tat an Zucker gewöhnt. Die Kunden können in der ersten Zeit durchaus den Eindruck haben, dass die entzuckerten Pâtisserien etwas fade schmecken. Aber das Verlangen nach Zucker ist im Grunde genommen nur eine Frage der Gewohnheit. Genusserlebnisse lassen sich mit den vielen anderen Geschmackseindrücken schaffen: Sauer, Bitter, Salzig. Nehmen wir zum Beispiel die Schokolade. Wie Sie wissen, enthält dunkle Schokolade einiges an Zucker weniger als Milchschokolade. Nicht alle Kunden mögen dunkle Schokolade. Um ihr daher etwas auf die Sprünge zu helfen, kann man sie mit Gewürzen und Aromaten aufpeppen, wie Piment d’Espelette, Kümmel, Pfeffer, Zimt, Muskatnuss, Kardamom… Man kann sie ebenfalls mit halbkandierter Zitrone vermischen, um ihr eine säuerliche Note zu verleihen, oder etwas Vanille dazugeben, um ihren Geschmack abzurunden. Persönlich habe ich eine Vorliebe für Schokolade mit Limette und Estragon. In der Pâtisserie, und besonders in der entzuckerten Pâtisserie, kann und soll man Wagnisse eingehen!
 

 

 

Durch weniger Zucker räumt man dem Geschmack und den anderen Komponenten auch mehr Platz ein?

Genau. Dies trifft vor allem auf Früchte zu, die jetzt ihre volle geschmackliche Feinheit zeigen können. Für einen Konditor ist es jedoch sehr kompliziert, frische Früchte einzusetzen. Ihre Verarbeitung verursacht einen hohen Aufwand an Zeit und Geld, es gibt Verluste bei der Vorbereitung, und frische Erzeugnisse sind von Natur aus leicht verderblich. Aus diesem Grund verwende ich Fruchtpürees von Les vergers Boiron und empfehle diese auch wärmsten weiter. Das Sortiment ist sehr komplett, der Geschmack der frischen Frucht ist perfekt respektiert und alle sensorischen Eigenschaften bewahrt. Allen Konditoren, die in die entzuckerte Pâtisserie einsteigen möchten, kann ich nur raten, etwas aus der Boiron-Reihe 100% reine Frucht (Obst und Gemüse) auszuwählen. Diese Produktreihe ist frei von Zusätzen – kein Zucker, kein Farbstoff, keine Konservierungsmittel und keine Verdickungsmittel. Der Konditor hat die totale Kontrolle über seine Rezepturen.
 

Les vergers Boiron führen ebenfalls eine Vielfalt an Gemüsepürees: Greifen Sie für Ihre entzuckerten Pâtisserien darauf zurück?

Mehr denn je. Zum einen, weil Gemüsepürees tatsächlich sehr wenig Zucker enthalten, zum anderen aber auch, weil man mit ihnen die Kunden überraschen und auf neue Geschmacksgebiete führen kann, die sofort vergessen lassen, dass der Zuckeranteil so drastisch reduziert wurde. Das einzige Limit, auf das die Erweckung der Geschmackssinne hierbei stößt, ist die Fantasie, die Vorstellungskraft des Konditors. Heute sind schon einige gut funktionierende Kombinationen bekannt, z.B. Himbeere mit roter Paprika, Zitrone oder Orange mit gelber Paprika, Zwetschge mit rote Bete, oder Gurke mit Milchprodukten.
 

Zucker ist ebenfalls ein Texturgeber, er macht Kuchen lockerer, Kekse knuspriger und Eis cremiger. Dies mussten Sie bei der Umschreibung Ihrer Rezepte doch auch bedenken?

Ja, in der Tat. Die Ankunft der Molekularküche hat den Beginn der 2000-Jahre geprägt. Die Techniken dieser Küche waren zur damaligen Zeit verblüffend, Emulsifikation, Gelifikation, Sphärifikation…, um alle mögliche „Kugeln, Perlen“ aus gängigen Lebensmitteln zu realisieren. Mit dieser Küche lernten wir Agar-Agar kennen, ein Geliermittel, das aus Algen gewonnen wird. Es ist farb- und geschmacklos. Es ist lediglich ein Bindemittel und hält Temperaturen bis 90°C stand. Heute wird ebenfalls Gellan verwendet, das aus der Gärung einer Alge produziert wird und ausgezeichnete texturgebende Eigenschaften besitzt. Daneben steht uns das Johannisbrotkernmehl (aus der Frucht des im Mittelmeerraum angebauten Johannisbrotbaums) zur Verfügung. Diese Produkte findet man in Bio-Läden und auch immer mehr im traditionellen Großhandel.
 

Was meinen Sie, welche Innovationsachsen demnächst von den Konditoren angegangen werden?

Wir müssen auf dem Weg der gesunden Ernährung noch weitergehen. Wir müssen die Rezepturen unserer Pâtisserien umdenken, um Glykämiespitzen zu vermeiden. Durch diese Spitzen entsteht Heißhunger, der die Menschen zum übermäßigen Essen verleitet. Das Bäcker- und Konditorhandwerk muss also neue Rezepte mit einem niedrigen glykämischen Index (GI) entwickeln. So problemlos wird das nicht sein, das können sich vorstellen. Als erstes müssen die Zutaten mit hohem GI verbannt werden (Mehle T45 oder T55 und zu süße Früchte). Vor allem muss der weiße Zucker durch andere süßende Mittel ersetzt werden, wie zum Beispiel der Zucker der Kokos- oder Palmenblüte, Agaven- oder Ahornsirup, dunkle Melasse oder brauner, unraffinierter Rohrzucker.
 

Können Ballaststoffe den glykämischen Index der Rezepte herabsetzen?

Je mehr ein Nahrungsmittel Ballaststoffe enthalt, und hier lösliche Fasern, umso niedriger ist sein glykämischer Index. Zu den löslichen Fasern zählen u.a. Pektin, Gummi (Guar, Johannisbrotkerne) und die Pflanzen- und Algenextrakte (Agar-Agar, Alginat, Carrageen, Inulin). Alle diese Zutaten findet man leicht in Bio-Läden. Auch Hülsenfrüchte (Kichererbsen, Linsen, Bohnen), Getreide (Weizen, Roggen, Hafer und Haferkleie), Obst (besonders Äpfel, Birnen, Pflaumen, Pfirsiche, Quitten, Zitrusfrüchte, Erdbeeren und Himbeeren) und bestimmte Körner (Buchweizen, Leinsaat, Chiasamen und Johannisbrotsamen) sind reich an löslichen Fasern. Die festen Ballaststoffe findet der Konditor in Vollmehlen (T80), Ölfrüchten (Mandeln, Haselnüssen), frischen Früchten (Birne, Apfel, Papaya, Ananas…) und getrockneten Früchten (Pflaumen, Feigen, Datteln). Mit einem Wort, er hat die Qual der Wahl. Wieder einmal ist es seine Vorstellungskraft, die das Limit setzt!

 

 
Juli 2016