Trend "frei von": Die Spreu vom Hafer trennen

Trend "frei von": Die Spreu vom Hafer trennen

Die Küche "frei von" ist im Aufwind. Glutenfrei bis kochfrei, Paleo-Diät, … Erforschung eines komplexen Feldes ohne Anhaltspunkte und häufig ohne Grundlage

Der Trend "frei von" macht heute Furore.

Glutenfrei, zuckerfrei, laktosefrei… die Verkäufe verzeichnen hohe Absatzsteigerungen und die Spezialabteilungen in den Supermärkten boomen. Diese Welle folgt historisch betrachtet anderen Trends, die mehr oder weniger lange andauerten: "Mit" oder "angereichert mit" der Wirtschaftswunderjahre (mit Vitaminen, Spurenelementen und weiteren Nahrungsergänzungsmitteln), die "Light"-Jahre mit reduzierten Produkten (zucker-, fett-, salzreduziert) in der Zeit 1980-1990 und heute eben, die Mode "frei von".

 

Zwischen Geldmacherei und Information

Die "frei von" Bewegung nimmt verschiedene Formen an, die sich in drei große Kategorien einteilen lassen. Erstens: Das wachsende Angebot an klassischen Produkten, denen einer der als schädlich empfundenen Bestandteile entzogen wurde (laktosefreie Milch, glutenfreies Brot, Getreide und Kekse, zuckerfreie Kompotte). Zweitens: Eliminierung bereits im Vorfeld der Verarbeitung von Elementen, die als gesundheitsgefährlich oder suspekt gelten: frei von Pestiziden, frei von GMO, frei von Konservierungsmitteln oder künstlichen Farbstoffen. Drittens: In der radikalsten Erscheinungsform werden bestimmte Lebensmittelkategorien, die grundsätzlich als toxisch betrachtet werden, ganz abgelehnt: Vegetarismus, Vegetalismus (umbenannt in Vegan), die Rohköstler, die Neo-Paläontologen (Ernährung nach den Möglichkeiten vor dem Getreideanbau) und die Verfechter der "heilenden" Küche oder der kulinarischen Medizin.
 
Dieses neue Konsumverhalten birgt Positives. Die wichtigste Veränderung ist zweifellos die Einschränkung der Pestizide und der künstlichen Additive, die wir in unseren Nahrungsmitteln dulden. Die Produzenten und die Lebensmittelindustrie werden zu einem bewussteren Umgang in Bezug auf die Qualität der ausgewählten Rohstoffe und der zur Herstellung ihrer Fertigprodukte eingesetzten Methoden gezwungen.
 
Ein weiterer Pluspunkt für die Nachfrage nach Produkten "frei von": Menschen mit echten nahrungsmittelbedingten Gesundheitsproblemen haben einen einfacheren Zugang zu Produkten, die früher nur schwer zu finden waren. Zöliakie-Kranke (schwere Glutenunverträglichkeit) können jetzt viel einfacher die benötigten Lebensmittel einkaufen, Diabetiker profitieren von einem größeren Angebot an zuckerfreien Produkten.
 
Das Problem liegt woanders. Wie Michelle Berriedale-Johnson, Ernährungshistorikerin und Chefredakteurin von foodsmatter.com, sagt "Es gab eine enorme Zunahme 'freiwilliger Verweigerer', darunter Personen, die ohne medizinischen Grund glutenfreie Produkte konsumieren".
 
Ohne allzu stark auf die Polemik über die wissenschaftliche Wahrheit oder die wirtschaftlichen Interessen, die bei diesen Bewegungen mitschwingen, eingehen zu wollen und ohne das Interesse dieser neuen Produkte für die Werbewirtschaft zu berücksichtigen ist festzustellen, dass viele dieser Bedenken und Ablehnungen von Angst und Misstrauen genährt werden.
 
Nehmen wir einmal den Glutenfrei-Trend, der jedes Jahr exponentiell wächst. Die Anzahl der Verbraucher dieser Produkte übersteigt um das 10 bis 20fache die Personen, die unter einer echten Unverträglichkeit oder Allergie leiden. Gewisse Stellen im Gesundheitswesen und Ernährungsberater warnen übrigens vor dieser Selbst-Einschränkung, die bei bestimmten Personen Mangelerscheinungen hervorrufen kann und andere wiederum hindern, einen Arzt aufzusuchen, um ein echtes Gesundheitsproblem zu erkennen. Allgemein schätzt man, dass in einem westlichen Land über ein Drittel der Personen mit Lebensmittelunverträglichkeiten oder Allergien die wahre Art ihrer Krankheit ignoriert. Wie kann man nun zwischen Geldmacherei und Information unterscheiden?

 

Einen kühlen Kopf bewahren

Die erste historische Feststellung: Jede der einschränkenden Ernährungsbewegungen endete nach einer gewissen Zeit mit der Rückkehr zu einer abwechslungsreichen, ausgewogenen und mengenmäßig vernünftigen Ernährung. Der berühmte Ausspruch von Jean-Pierre Coffe "besser eine kleinere Menge richtigen Käse essen als riesige Mengen "Light" Käse" ist in Frankreich allen im Gedächtnis geblieben.
 
Der gesunde Menschenverstand siegt immer (oder fast). In jedem Nahrungsmittel stecken Vor- und Nachteile. Käse zum Beispiel enthält weniger Laktose als Milch und ist daher verdaulicher, er ist aber auch fetter. Früchte enthalten Ballaststoffe, Vitamine und lebenswichtige Spurenelemente, aber auch Zucker. Natürlicher Zucker (im wesentlichen Fruktose) wird langsamer vom Organismus aufgenommen und belastet das Verdauungssystem nicht so stark wie raffinierter Zucker (Sucrose), aber trotzdem, bitte nicht übertreiben.
 
Die Liste ist lang und manchmal kompliziert, aber die meisten epidemiologischen Langzeitstudien, die auf repräsentativen Stichproben basieren, bestätigen dieses Prinzip einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung. Der bekannteste Fall, die kretische Ernährungsweise, hat sich statistisch bewährt. Sie verbannt nichts, lediglich eine gewisse Mäßigung ist wichtig und vor allem, der Respekt der Natur sowie eine ausgeglichene Lebensweise, in sozialer, psychologischer und ernährungstechnischer Hinsicht.
 

Fit sein, ohne auf kleine Sünden zu verzichten

In dieser Ausgabe des e-Newsletter, Gespräch mit dem Wissenschaftler und Koch Raphael Haumont, Gründer des Centre Français d'Innovation Culinaire (CFIC - französischen Zentrums für kulinarische Innovation) und Inhaber des Lehrstuhls "Cuisine du Futur" (die Küche der Zukunft) an der Universität Paris Saclay, über "Bio-Mimetismus", der sich wie ein Leitfaden durch seine Forschung zieht.
"Wir versuchen nicht, die Dinge besser zu machen als die Natur. Wir versuchen vielmals, das, was die Natur am besten macht, zu verstehen und davon zu profitieren" betont er. "Wir erforschen konstant, wie wir die Qualitäten des Produktes freisetzen können. Die Küche der Zukunft ist in gewisser Weise die logische Fortsetzung der in den 1970er Jahren aufgekommenen Nouvelle Cuisine, mit dem Unterschied, dass die Küche von heute vielleicht nicht so stark eingegrenzt ist. Ein Beispiel: Man kann einen Pfirsich ganz einfach "nature" lieben, also ohne großen Schnickschnack, wenn er von guter Qualität und vollreif gepflückt ist. Man kann auch die geschmacklichen Qualitäten des Pfirsichs hervorheben, ohne sie zu verfälschen, indem man daraus ein Sorbet oder eine Mousse macht und mit anderen Früchten oder Würzen kombiniert. Nichts hindert uns im Endeffekt aber daran, einen guten alten Pfirsich Melba zuzubereiten, den Escoffier gegessen hätte, indem wir natürliche Zutaten und vernünftig dosierte Zucker- und Fettproportionen verwenden. Eben, fit sein schließt kleine Sünden nicht aus".
 

Eine Küche ohne Komplexe

In dieser Ausgabe des e-neswsletter finden Sie ebenfalls ein Interview mit Martin Lippo, Chef und Forscher im Institut Vakuum in Barcelona. "Ich kenne keine Tabus", sagt er "ich interessiere mich für alles noch so Innovative und dafür, warum eine seit 500 Jahren verwendete Technik nie verändert wurde. Ich möchte Grenzen einreißen zwischen dem Noblen und dem Vulgären, ich möchte mich von der althergebrachten und prätentiösen Küche distanzieren. Man kann genauso gut etwas sehr Gutes machen aus einem einfach zubereiteten lokalen Produkt, indem man alle geschmacklichen Qualitäten und Nährwerte nutzt und hervorhebt, wie mit einem exotischen Produkt, das man stark verarbeitet. Das eine schließt das andere nicht aus. Ich glaube in erster Linie an eine Küche ohne Komplexe", lautet sein Fazit.
 
 
 
 
 
 
Mai 2018